Eine andere Art von Geschwindigkeit?

Räder oder Wellen? Bei Red Bull geht es um Tempo – in seiner verschiedensten Form. Dennoch haben die MotoGP™ und der America's Cup in diesem Sommer mehr gemeinsam, als man vielleicht denken könnte.

Von Adam Wheeler

In wenigen Wochen gleiten einige der schnellsten, manuell gesteuerten Segelschiffe mit ihren in internationalen Gewässern erfahrenen Besatzungen über das Mittelmeer rund um Barcelona. Alinghi Red Bull Racing, eines von sechs Teams im 37. America's Cup, wird mit einer Geschwindigkeit von mehreren Knoten aller Voraussicht nach an der Stadt Mataro vorbeisegeln, nicht weit entfernt vom Circuit de Barcelona-Catalunya, wo die MotoGP am vorletzten Maiwochenende in ihrem ganz eigenen rasanten Tempo unterwegs war.

Die Schweizer haben fast zwei Jahre damit verbracht, ihre AC75 zu entwerfen und sich auf den ältesten Wettbewerb im internationalen Sport vorzubereiten, der seit 1851 – damals um die Isle of Wight vor Englands Südküste – ununterbrochen stattfindet. Seit dem Sommer 2023 haben sie ihr Lager in einer eigens dafür gebauten Anlage im Herzen des alten Hafens von Barcelona aufgeschlagen und betreiben einen immensen Aufwand in Form von Mitarbeitern, Sponsoren, Partnern und Budget. Das ist auch nötig, um sich gegen die ehrgeizige und innovative Konkurrenz aus den USA, Neuseeland, Italien, Frankreich und Großbritannien durchzusetzen.

Die Unterschiede zwischen den Sportarten mit Blick auf Körperbau und „Terrain“ fallen sofort ins Auge, doch es zeigen sich nach und nach auch einige Ähnlichkeiten. Neben der Red Bull-Lackierung ist das aerodynamische Profil der 23 m langen AC75-Rennyacht hochmodern. Bei voller Fahrt fliegt das Boot dank des sorgfältigen und durchdachten Einsatzes der Foil Wings, dem wichtigsten Konstruktionselement jedes einzelnen Teilnehmers am America's Cup, nur so über das Wasser. Der Großteil des Boots von Alinghi Red Bull Racing besteht aus halbstarrem Carbon, das voller Sensoren und technisch unglaublich ausgereift ist. Ihm folgt ein laut heulendes „Chase“-Boot, das von mehreren 450 cm3 Außenbordmotoren angetrieben wird. Von hier aus überwachen mit Laptops ausgestattete Techniker die Aktivität und Leistung der AC75. 

Wings, Aerodynamik, Daten. Klingt vertraut?

Wie Red Bull KTM Factory Racing hat auch Alinghi Red Bull Racing mit Red Bull Advanced Technologies zusammengearbeitet, um die Form und Effizienz der Yacht zu verbessern. Es gibt Bereiche im Hauptquartier in Barcelona, zu denen nicht einmal die KTM-Gruppe im September Zugang hatte, einfach wegen der Geheimhaltung der Arbeit am Modell für 2024. Das AC75-Reglement besteht seit sechs Jahren. Alle vier Jahre wird ein neues Boot entworfen, daher wird jede Idee, die im Wasser einen Vorteil bringen könnte, wie ein Schatz gehegt und gepflegt. Das gleiche Streben nach jeder noch so kleinen Verbesserung beherrscht auch die Welt der MotoGP und gilt für jedes besondere Merkmal, das der KTM RC16-Prototyp gegenüber der Konkurrenz haben könnte.

Es würde die Kraft von 39 KTM RC16 brauchen, um eine AC75 auf Geschwindigkeit zu bringen, aber ohne Talente, die sie führen und vorbereiten, bleiben beide Fahrzeuge wortwörtlich auf der Strecke. Binder und Miller verlassen sich auf eine große Mannschaft technischer Köpfe bei Red Bull KTM Factory Racing (insgesamt etwa 70 Personen). Das Team Alinghi Red Bull Racing, bereits zweimaliger Sieger des America's Cup, hat eine vergleichbare Größe und widmet sich sowohl den Booten als auch dem Betrieb und den Crews. Wenn aber am Samstag und Sonntag die Lichter ausgehen, ist die MotoGP ein Ein-Mann-Sport. Der America's Cup hingegen ist pures Teamwork. 

„Ich bin in der ‚Power Group‘. Wir sind dafür verantwortlich, dass die Energie über ein Antriebssystem bereitgestellt wird, damit die anderen Jungs die Segel trimmen können, also alles über Deck“, erzählt uns Barnabé Delarze, ein ehemaliger Profi-Ruderer, zweifacher Olympionike und Gewinner des berühmten Rennens Oxford gegen Cambridge. „Wir sind insgesamt acht: vier in der Power Group und vier in der Driving Group. Es ist seltsam, weil wir in der gleichen Mannschaft und auf dem gleichen Boot sind, aber es ist eine ganz andere Arbeit,Training und Vorbereitung. Die Driving Group ist am ehesten mit den [MotoGP-]‚Fahrern‘ vergleichbar. Bei ihnen geht es um Konzentration, Reaktionszeit, Wissen und Taktik. Bei uns hingegen nur um Muskelkraft!“ Teamwork ist jedoch in beiden Bereichen entscheidend.