VOM RENNFAHREN AUF VIER RÄDERN UND DER VIRTUELLEN WELT

KTM tritt auf fast allen Kontinenten auf zwei Rädern an, ist aber auch bei seinem Vierradprogramm alles andere als untätig. Marketing & Motorsport Managerin und Fahrerin Laura Kraihamer erzählt uns, wie die KTM X-BOW-Modelle straßentauglich gemacht werden und wie die Technologie Fahrer schneller und jünger werden lässt...

Von Adam Wheeler

Laura Kraihamer hat eine Doppelrolle als Fahrerin und Vice President Motorsports & Marketing der KTM Sportcars PC: Gruppe C Photography

Laura Kraihamer ist seit über einem Jahrzehnt untrennbar mit dem KTM X-BOW verbunden. Die 32-jährige Salzburgerin fuhr 2012 zum ersten Mal einen der österreichischen Sportwagen und ist seit den letzten sechs Saisonen offiziell bei KTM für Rennen, Tests und Marketing des KTM X-BOWs gemeinsam mit ihrem Team verantwortlich.

In den 15 Jahren seines Bestehens hat sich der KTM X-BOW von einem kleinen, radikalen Nebenprojekt zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Motorsportsparte des Unternehmens entwickelt. Als solcher konnte er bereits mehrere Erfolge erzielen und führte zur Entwicklung des GT-XR, der laut KTM „einem ausgewachsenen Rennwagen mit Straßenzulassung am nächsten kommt“.  Das Mantra READY TO RACE gilt also für alle motorisierten Produkte des Unternehmens, ungeachtet dessen, wie viele Räder sie haben.

Der 2023 X-BOW GT-XR. PC: Kristijan Knezevic

Kraihamer kennt sich mit dem Auto, das derzeit in verschiedenen Serien wie der Fanatec GT2 European Series oder der Creventic 4H Series mitfährt, bestens aus. Die Ernsthaftigkeit oder der internationale Umfang des Terminkalenders für das KTM X-BOW-Team und Kraihamer inklusive der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, sind nicht zu unterschätzen.  „Die Tagesordnung kann sich ändern, aber das letzte Jahr war für uns ziemlich intensiv“, erzählt Laura. „Wir waren an mindestens 25 bis 30 Wochenenden im Jahr auf der Rennstrecke, um zu testen, Rennen zu fahren und Entwicklungsarbeit zu leisten. Die Größe des Teams schwankt meist zwischen 15 und 20 Personen, je nachdem, ob wir ein oder zwei oder manchmal auch drei Autos mitbringen! Es kann also ganz schön voll werden. Das Kernteam besteht jedoch meist aus 10 bis 15 Personen, die Fahrer nicht mitgerechnet.“

Kraihamer erzielte bereits Siege und Podiumsplätze bei einer Reihe von Wettbewerben: Der GT4, Endurance und Nürnburgring Nordschleife um nur ein paar zu nennen. Dabei muss sie die Balance zwischen dem Management des Teams und dem Management des Autos halten. „Ich glaube, jeder Fahrer möchte sich im Grunde nur darauf konzentrieren, Fahrer zu sein“, lächelt sie. „Meine neue Aufgabe war anspruchsvoll, interessant und anfangs auch ein wenig seltsam. Sie ist wie eine ganz neue Rolle im Rennsport. Ich glaube, ich habe eine völlig andere Perspektive als jemand, der die Situationen die ich erlebt habe nicht kennt. Außerdem habe ich das Glück, ein Team an meiner Seite zu haben, das diese Doppelrolle fantastisch unterstützt.“

Der Erfolg des KTM X-BOW ist nur möglich, dank des starken Teams. PC: Philip Platzer

„Ich habe das Gefühl, dass der KTM X-BOW immer gegen starke Gegner kämpfen musste und eher eine Außenseiterrolle hatte“, fügt sie hinzu. „Wir bemühen uns, seine Bekanntheit zu erhöhen, denn viele wissen gar nicht, was wir tun, oder sie unterschätzen uns oder glauben nicht, wozu wir fähig sind. In den letzten Jahren haben wir mit den GTX- und GT2-Rennwagen, die bei ihren ersten Einsätzen gleich wichtige Rennen und Meisterschaften gewonnen haben, viel mehr von uns gezeigt und selbst als Prototypen erstaunliche Geschwindigkeit und Leistung demonstriert. Unser Team besteht aus einer beeindruckenden Gruppe von Menschen, die von Leidenschaft angetrieben werden. Ohne sie wäre vieles von dem, was wir erreicht haben, nicht möglich gewesen.“

Leidenschaft, aber auch seiner Geschwindigkeit sind der Grund für die wachsende Glaubwürdigkeit des Sportwagens, der von Europas größtem motorisierten Zweiradhersteller produziert wird. „Das gilt vor allem innerhalb des Unternehmens“, stimmt Kraihamer zu. „Die Leute haben gesehen, was das Auto kann. Es gab schon viele Veranstaltungen, bei denen wir im Rennen gegen die großen Automarken angetreten sind und zu 100 % konkurrenzfähig waren. Das Ansehen des KTM X-BOW hat sich stark verändert, aber wir sind den Kernwerten von KTM und den Werten des Rennsports treu geblieben.“

KTM X-BOW GT2 in der Fanatec GT2 European Series in Valencia. PC: AG Photo

Die Pierer Mobility Group hat in den letzten fünf Jahren weitere Marken hinzugefügt und ihre Produkte diversifiziert, insbesondere mit dem aufstrebenden Fahrradmarkt. Hat das die Position des KTM X-BOW geschwächt?

„Nein, ganz und gar nicht“, beteuert Kraihamer. „Alle Leute, die ich treffe, sind extrem interessiert, und viele wollen den KTM X-BOW in ihre eigenen Werbeaktivitäten integrieren. Die Leute finden ihn cool! Ich habe das Gefühl, dass der KTM X-BOW genauso viel Ansehen genießt wie jedes andere Produkt des Unternehmens, und ich finde es gut, dass die [Pierer Mobility-]Gruppe nicht nur orange geblieben ist, sondern sich für viele weitere Dinge geöffnet hat. Es ist faszinierend, dass jeder die Markenwerte von KTM kennt. Obwohl das Produktportfolio unter dem Dach so groß ist, gibt es immer noch kein einziges Produkt, bei dem man denken könnte: ‚Das entspricht nicht dem, wofür KTM steht …‘“

Wenn es ein unverkennbares Merkmal von KTM gibt, dann ist es der Rennsport. Kraihamer ist ein Teil dieses Teams und lässt keine Zweifel daran, dass sie immer noch die Fähigkeiten, die Geschwindigkeit und – was entscheidend ist – das Know-how hat, um eine Runde zu drehen und die Reifen zum Qualmen zu bringen.

„Ich glaube, jeder Fahrer möchte sich im Grunde nur darauf konzentrieren, Fahrer zu sein“ – Laura Kraihamer. PC: Gruppe C Photography

„Ich bin eigentlich erst spät in den Rennsport eingestiegen“, sagt sie. „Normalerweise fahren spätere Fahrer schon in jungen Jahren Kart, aber das habe ich nur drei, vier Jahren gemacht, weil mir der finanzielle Hintergrund fehlte. Ich habe mit 22 Jahren angefangen, Autorennen zu fahren, und das Problem dabei ist, dass man nur sehr wenig Zeit im eigentlichen Rennwagen verbringt! Wenn man fahren und testen will, dann braucht man eine ganze Crew, Transportmöglichkeiten, Reifen, Kraftstoff, Ingenieure, Mechaniker und natürlich die Strecken. Es ist sehr anstrengend, aber mit jeder Minute und jedem Kilometer im Auto sammelt man mehr Erfahrung. Deshalb sind Rennfahrer, die über 30 Jahre alt sind oder seit mehr als zehn Jahren auf der Rennstrecke unterwegs sind, oft genauso schnell – wenn nicht gar schneller – als die Youngster.“

Die Österreicherin konnte sich auf den rasanten Vormarsch der Technologie und insbesondere auf den Boom von Rennsimulationen verlassen. Unternehmen wie Fanatec, der Sponsor der GT-Serie, stellen hochspezialisierte Komponenten her, die es Fahrern oder Unternehmen ermöglichen, Rigs zu bauen und Software und Hardware zu betreiben, die professionelle Rennfahrer so nah wie möglich an die Realität heranführen. „Rennsimulationen sind ein echter Gamechanger“, sagt Laura. „Sie geben jungen Leuten die Möglichkeit, genauso viel Erfahrung zu sammeln wie jemand, der schon länger im Rennsport tätig ist.“

„Sie eröffnen eine weitere Möglichkeit der Ausbildung“, fügt sie hinzu. „Wir haben ein Rig in der Firma. Es ist ziemlich groß! Die Technologie ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass sie in vielen Bereichen sehr nützlich ist.“

In der KTM Motohall haben auch Besucher die Möglichkeit eine Rennsimulation auszuprobieren. PC: Felix Steinreiber

Für Spielkonsolen wie PlayStation und Xbox gab es früher Motorsport-Titel, die aufgrund ihrer primitiven Genauigkeit in Bezug auf Austragungsorte, Strecken und in einigen Fällen sogar das Fahrverhalten der Fahrzeuge hilfreich waren. Laut Kraihamer sind die praktischen Aspekte nun entscheidend für die Vorbereitung.

„Ab einem gewissen Punkt ist eine Simulation notwendig“, sagt sie. „Früher spielten Leute Spiele und benutzten eine einfache Rennsimulation, um die Strecken kennenzulernen und zu sehen, in welche Richtung das Layout ging. Das hat sich wirklich verändert. Wenn das Material gut genug ist, kann man jede Unebenheit oder jede Veränderung im Asphalt der Strecke nachbilden. Diese Details sind wichtig, und auch wenn eine Simulation nie das exakte Gefühl des Autos nachbilden kann, kann man damit dennoch viele Situationen mit verschiedenen Aspekten wie Bremsabstimmung, Markierungen und Wetter durchspielen.“

Virtuelles Training trägt laut Kraihamer dazu bei, Rennen zu gewinnen

Die Fähigkeit, ‚virtuell‘ zu fahren, hat Kraihamer überzeugt: „Ich fahre schneller und cleverer als je zuvor. Ich schätze, es ist eine andere Art von ‚schnell‘. Ich bin immer noch scharf auf den Sieg, treffe aber inzwischen bessere Entscheidungen.“

Außerhalb des Cockpits musste sie eine größere Folge des KTM X-BOW beaufsichtigen, nämlich die Herstellung des GT-XR – eines leichten, fulminanten Autos mit exzellentem Kraftstoffverbrauch (ein 96-Liter-Tank mit einer geschätzten Reichweite von 900 km). „Wir haben jetzt eine Straßenversion, die auf dem GT2-Auto basiert und ein weiterer Meilenstein ist: ein Sportwagen, der von einem Rennwagen abgeleitet wurde und für die Straße zugelassen ist. Es war großartig, die ersten Exemplare in Europa auf der Straße zu sehen und den Bekanntheitsgrad noch weiter zu steigern.“