DIE KOMPLETTE MASCHINE, DAS KOMPLETTE PAKET

KTMs Motorsportaktivitäten haben bereits nahezu 400 FIM-Titel eingefahren. Aber welches Motorrad ist das beste von allen? Bühne frei für die KTM 250 SX-F – ein Motorrad, das kürzlich seine 15. MX2 Motocross Weltmeisterschaft aus den letzten 20 Saisonen eingefahren hat. Hier kommt ein Einblick in die Geschichte...

Von Adam Wheeler

Das 2023 MX2 Weltmeister Motorrad: Die KTM 250 SX-F. PC: Ray Archer

20 Saisonen, 15 Meisterschaften, 10 verschiedene Fahrer, 1 Team: Die Zahlen der KTM 250 SX-F sprechen für sich. In den Händen des Red Bull KTM Factory Racing Teams ist das Motorrad seit fast zwei Jahrzehnten der ultimative Maßstab für Ergebnisse, Leistung und Beständigkeit. In dieser Zeitspanne hat es zahlreiche Entwicklungen mitgemacht, von der Kraftstoffeinspritzung, Elektronik, Verfeinerung der Stahl-Chassis und Anti Squad Konzepten über enorme Fortschritte bei der Federungs-Hardware und dem Verhalten des Motorrads bis hin zu Änderungen an der Ergonomie für Fahrer.

Der Aufstieg der KTM 250 SX-F spiegelt ziemlich gut die Geschichte des Unternehmens selbst wider in Sachen Forschung und Entwicklung (F&E) und der allgemeinen Expansion: Das Motorrad wurde zum ultimativen Aushängeschild des 250cc-4-Takt-Rennsports, etwa zur selben Zeit startete KTM nach und nach alle Wettbewerbe und führenden Marktsegmente zu erobern und die Konkurrenz zu überholen, um mit großem Vorsprung zum größten Zweiradhersteller Europas zu werden.

Es war jedoch eine schwere Geburt. KTM hatte bereits einen hervorragenden 2-Takter, die KTM 125 SX, und gewann mit drei verschiedenen Fahrern in den Jahren 2000, 2001 und 2003 die 125er-Weltmeisterschaft. Das Bike hatte sich bereits bewährt und war stark, aber die 4-Takter waren im Kommen. Das Jahr 2003 war für die F&E-Abteilung und die Rennabteilung von KTM ein Jahr der intensiven Experimente mit den ersten Versionen der KTM 250 SX-F.

„Sie war sehr überentwickelt“, erinnert sich der heutige Projektleiter Dirk Grübel (damals leitender Techniker im Rennteam). „Sie hatte zahnradgetriebene Nocken, einiges an Spezialzeug. Aber sie war eine Katastrophe. Die Frequenz war zu hoch, und sie hämmerte einfach weiter, bis das nächste Teil kaputtging. Ein Problem jagte das andere. So gesehen, war es eine gute Entwicklungsgeschichte. Wir konnten in der Weltmeisterschaft vollständige Prototypen fahren und dann in den USA aufgrund des Reglements auch Vorserienmodelle. Erst mit dem ersten Vorserienmodell machten wir große Fortschritte in Sachen Zuverlässigkeit. Dann konnten wir uns Jahr für Jahr verbessern und uns in der Klasse zum Maßstab für PS hocharbeiten.“

Dirk Grübel begleitete die Erfolgsgeschichte der KTM 250 SX-F von Anfang an. PC: Ray Archer

Ein Prototyp der KTM 250 SX-F tauchte im März 2003 zum ersten Mal auf einer WM-Rennstrecke auf, in Bellpuig beim Grand Prix von Spanien. Gefahren wurde er von Red Bull KTM Factory Rider Erik Eggens. Das Motorrad ließ sich bekanntermaßen nur schwer starten und war temperamentvoll in Sachen Durchhaltevermögen, aber extrem schnell. Danach verschwand es wieder in der Versenkung, während die Arbeit in Mattighofen weiterging. Ebenfalls wieder am Schreibtisch fand sich der zukünftige KTM Motorsports Director Pit Beirer, dessen Karriere als Grand-Prix-Fahrer abrupt zu Ende gegangen war.

„Historisch gesehen hatte KTM schon bei vielen Projekten einen zwar starken, aber eher nicht so zuverlässigen Motor.“ Heute bringt der Gedanke Beirer zum Schmunzeln. „Wir wollten die volle Motorleistung behalten, mussten aber sicherstellen, dass das Bike auch hält. Das war nervenaufreibend. Wir mussten das gesamte Potenzial des Unternehmens ausschöpfen, und ich bin sehr froh, dass wir es schließlich gemeinsam geschafft haben. Die Motivation bei KTM Motorsport war schon immer hoch, sowohl vor meiner Zeit als auch als ich dazu kam, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Aber ich glaube wir haben uns als Rennabteilung über die Jahre stark weiterentwickelt.“

Pit Beirer mit dem Red Bull Factory Racing Team beim 2023 MXGP in Frankreich. PC: Ray Archer

Am 21. März wurde die FIM-Motocross-Weltmeisterschaft 2004 auf der sandigen Zolder Rennstrecke mit den neuen Formaten „MX2“ und „MX1“ (später „MXGP“) eröffnet, die die bisherigen Kategorien 125cc, 250cc und 500cc ersetzten. Die KTM 250 SX-F preschte sofort los. Marc de Reuver gewann das erste Moto-Rennen im belgischen Regen, während Ben Townley das zweite Rennen und damit den Grand Prix für sich entschied. Der Thron war bestiegen. „Ich glaube, dass unser Motorrad das konkurrenzfähigste auf der Strecke ist“, sagte De Reuver an diesem Tag. „Wir haben viel getestet, und es ist einfach das stärkste.“

Marc De Reuver auf der sandigen Zolder Rennstrecke in 2004

Townley holte sich den ersten MX2-Titel. Er nannte die KTM 250 SX-F eine „Rakete“ und „beschämend schnell“. Der Neuseeländer war der erste von zehn Fahrern, darunter ein Südafrikaner, drei Franzosen, ein Niederländer, ein Lette, ein Deutscher, ein Spanier und jetzt ein Italiener. Townley triumphierte 2004 zwar, aber es war eine fruchtbare Zeit für die Entwicklung von 4-Taktern mit 250cc. 2005 kam die KTM 250 SX-F der Meisterschaft nahe und 2006 erreichten die ersten Serienmodelle die Öffentlichkeit. Es sollte KTM aber erst 2008 wieder gelingen, die goldene Startnummerntafel in den Händen zu halten. Danach färbte sich die MX2-Klasse durch und durch orange. Nur 2015 und 2021 gingen die Meisterschaften an andere Rennteams.

„Der erste MX2-Titel unter meiner Führung bei KTM Motorsports mit Tyla Rattray [2008] fühlte sich besonders an. Von diesem Moment an begann für uns eine supererfolgreiche Zeit im Rennsport, zuerst mit KTM und dann mit dem gesamten Konzern und seinen verschiedenen Marken“, erinnert sich Pit Beirer. „Das alles hatten wir den neuen Arbeits- und Entwicklungsmethoden zu verdanken, die bei unserem ersten Titel 2008 Eingang gefunden hatten. Diese ersten MX2-Meisterschaften bedeuten mir viel, weil sie KTM Motorsport verändert und uns sehr gute Zeiten beschert haben.“

2008 startet Tyla Rattray die Siegesserie für KTM und MX2. PC: Ray Archer

Beirer prägte jedoch nicht nur das Management hinter den Rennaktivitäten von KTM, sondern förderte auch eine interne Kultur, die nach Erfolg strebte. Die KTM 250 SX-F war ein beispielhaftes Bike, das in dieser Umgebung heranwuchs. Ein bahnbrechendes Produkt, das auf demselben System basierte war die KTM 350 SX-F, die von 2010 bis 2014 die Motocross-Kategorie MX1 fest im Griff haben würde. Ein halbes Jahrzehnt lang räumte Red Bull KTM alle Weltmeisterschaften ab, ebenso wie 2017 und 2018.

Die KTM 250 SX-F hat ihren Status als eines der schnellsten, wenn nicht sogar das schnellste Motorrad in der Kategorie nie verloren, ist aber auch stärker und vielseitiger geworden. Die Plattform hat hohe Standards, eine intensive Nachfrage und unermüdliche Erfolge dank eines Teams hervorgebracht, dessen Personal und Fahrer im ständigen Wechsel waren und das Meisterschaften in allen Ecken der Welt an bis zu 20 Terminen bezwungen hat.

Andrea Adamo auf der KTM 250 SX-F beim MXGP in England. PC: Ray Archer

„Für uns ist es superwichtig, dass wir immer ‚Ready to Race‘ bleiben. Damit fängt alles an“, sagt Beirer. „Wir bauen das Bike von Anfang an zusammen mit unseren Ingenieuren für Top-Athleten, aber auch für Hobbyfahrer. Wir wollen ein Bike erschaffen, das einfach zu fahren ist, aber auch viel Leistung hat. Das ist ein einfacher Wunsch, der aber nicht so einfach umzusetzen ist! Ich glaube, wir haben konsequent darauf hingearbeitet, um dieses Ziel zu erreichen. Wir wollen keine Superrakete, die nur Jeffrey Herlings oder junge Kerle wie Andrea Adamo oder Liam Everts fahren können. Wenn man ein unkompliziertes, aber starkes Motorrad hat, kann man jederzeit Leute ins Team holen, die sofort schnell losfahren können. Aber das reicht noch nicht aus, um einen Titel zu gewinnen. Dafür braucht man ein in jedem Bereich starkes Motorrad. Wenn man viele Sprünge absolviert, braucht man eine extrem widerstandsfähige Federung, die aber gleichzeitig weich und effektiv sein muss, um Energie zu sparen. Das ist nicht so einfach, sondern ein großer Aufwand, den wir sehr ernst nehmen. Ich finde, wir haben auch unser Versprechen gehalten, nämlich dass wir mit großem Einsatz in die MotoGP™ einsteigen wollten, aber nie vergessen werden, wo unsere Wurzeln sind. Wir haben nie aufgehört, über die nächste KTM 250 SX-F nachzudenken, und ich weiß, was in der Pipeline ist. Die nächste Generation wird kommen. Wir werden in dieser Klasse niemals stillstehen.“

„Ich habe 2011 als Lehrling angefangen, an der KTM 250 SX-F zu arbeiten. Damals steckten wir in den Anfangsphasen der Benzineinspritzung und änderten die Anlenkung“, sagt Harry Norton, der heutige technische Koordinator von Red Bull KTM Factory Racing und Nachfolger von Grübel. „Uns ist es Jahr für Jahr gelungen, Verbesserungen zu finden oder umzusetzen.“

„KTM blickt auf eine lange Geschichte im Rennsport und zahlreiche Erfolge zurück“, fügt er hinzu. „Ich glaube, das liegt einfach an den Menschen hinter den Kulissen, dem Input der Fahrer und der Leidenschaft, die das Unternehmen für das Projekt hegt. Mit dem Unternehmen meine ich auch die Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die Motorsportmitarbeitenden, das Rennteam und die Trainingscrew. Sie bündeln ihre Ideen und ihre Energie, um die Dinge anzupacken.“

Harry Norton mit Tom Vialle 2022 beim MXGP von Charente Maritime. PC: Ray Archer

Norton verfügt dank der beiden Titel, die er 2020 und 2022 mit Tom Vialle gewann, selbst über Weltmeisterschaftserfahrung. Er betreute auch die Saison 2023, in der die Neuzugänge Andrea Adamo und Liam Everts in ihrem ersten Jahr als Red Bull KTM Factory Rider auf Platz 1 und 2 der Gesamtwertung landeten. Das Team verließ sich auf die Arbeit erfahrener Mitarbeiter wie Valentina Ragni [Team-Koordinatorin], Grübel in Österreich, Tony Cairoli als junger Teammanager und Joel Smets als Meistertrainer/Coach, stellte aber auch frische, junge Mechaniker ein. 2023 sollte ein Neustart für die Zukunft werden, aber der MX2-Zug ließ sich nicht aus der Bahn werfen.

„Ich glaube, das Team hat eine Seele oder einen Geist. Da gibt es diesen beständigen Hunger nach dem Sieg. Wer neu dazu kommt, tut das nur aus diesem einen Grund. Und das schafft im Team eine echt coole Atmosphäre“, sagt Beirer. „Als Dirk letzten Sommer sagte, dass er sich zurückziehen würde, war ich besorgt. Er ist schließlich einer unserer Top-Entwicklungsingenieure. Obwohl er uns zu Hause erhalten bleibt und an zukünftigen Projekten arbeitet, würden wir ihn auf den Rennstrecken sehr vermissen. Er hinterließ ein Loch im Team. Als wir unsere anfängliche Nervosität hinter uns gelassen hatten, haben wir diesen jungen Mechaniker zum Technischen Koordinator befördert. Das war ein großer Schritt, aber Harry hat sich fantastisch geschlagen. Er hatte mit Valentina zwar eine starke Frau an seiner Seite, musste aber schnell lernen. Auch Joels Erfahrung war sehr wichtig. Er trainiert die Fahrer so gut. Das Gesamtpaket ist stark, aber wenn man viel Personal austauscht, besteht auch immer ein Risiko. Wir wussten, dass wir einen ‚Neustart‘ brauchten, und haben über die Zukunft nachgedacht. Doch die jungen Fahrer, die wir hochgezogen haben, haben so viel Enthusiasmus mitgebracht. Ein junges Team, neue Mechaniker, eine neue Generation von Technikern, vor allem in der Elektronikentwicklung: Wir haben eine Menge frisches Blut im Gepäck. Jetzt haben wir leicht reden, weil alles gut gelaufen ist, aber letzten Sommer hatten wir noch keine Ahnung, ob es so kommen würde.“

Das ganze Team feiert den Erfolg beim MXGP 2023 in Maggioria Park. PC: Ray Archer

Das Erbe der KTM 250 SX-F zeigt sich nicht nur in den vielen FIM-Urkunden an der Wand des Motorsport-Hauptquartiers in Munderfing. Die ganze Arbeit und die Ideen, die allein hinter dem Motor stecken, hatte einige unerwartete Auswirkungen. „Wir waren ein reines 2-Takt-Unternehmen. Auf 4-Takter umzusteigen bedeutete, dass wir uns eine Menge neuer Technologien aneignen mussten, um sie zuverlässig und stark zu gestalten“, erklärt Beirer. „Zunächst brauchten wir den doppelten Hubraum, um die gleichen PS zu erreichen. Heute haben wir mehr als – sagen wir mal – einen alten 125cc-2-Takter. Wir haben das sehr gut hinbekommen, sodass wir Selbstvertrauen in Bezug auf den Straßenrennsport und das neue Moto3™-Reglement 2012 hatten. Es lagen bereits einige gute Vorkenntnisse vor. Zum Beispiel war die Drehzahlgrenze, die für die Moto3™ eingeführt wurde, niedriger als die, die wir damals beim Motocross hatten. Wir wussten, dass uns die Teile und das Innenleben zur Verfügung standen, um diesen Schritt zu wagen [die KTM RC4-Technik hat bis heute sechs Moto3™-Meisterschaften gewonnen]. Das ist auch der Grund, warum es so wichtig ist, dass unser Motorsportzentrum alle Disziplinen unter einem Dach hat. Was man lernt, kann man mit anderen teilen, und das ist ein weiterer Aspekt unserer Erfolgsgeschichte.“

Auch 2023 wurde die FIM MX2 Motocross Weltmeisterschaft auf einer KTM 250 SX-F gewonnen und zwar dank des Teams rund um Red Bull KTM Factory Rider Andrea Adamo. Sieh dir das YouTube Video an und feiere diese geniale Saison mit uns.

ANDREA ADAMO - MX2 WORLD CHAMPION 2023

ANDREA ADAMO - MX2 WORLD CHAMPION 2023