VON DER ERSTEN SPURRILLE BIS ZUR ZIELLINIE

Beim AMA Supercross stellen enorme Sprünge und Hardpack die Federung auf eine harte Probe. Doch wie groß ist der Unterschied zum Motocross und konventionellen Dirtbike-Einstellungen tatsächlich? Wir haben bei WP Suspension nachgefragt…

Von Adam Wheeler

Cooper Webb stellt die Federung seiner KTM 450 SX-F auf die Probe bei der AMA Supercross Runde 2 in Oakland PC @ALIGN MEDIA

Wenn du bei einem normalen Motocross-Bike die Sitzbank nieder drückst, ist die Reaktion ein ermutigendes Federn. Das Motorrad ist für Stöße bereit, ob im nächsten Wald oder auf einer Motocross-Rennstrecke. Eine Maschine, die für die Sprünge, die Geschwindigkeit und die Höhen eines Supercross eingestellt ist, gibt eine andere Reaktion. Sie ist steif wie ein Brett.

Angesichts dessen, dass es nur wenige Menschen auf der Welt gibt, die richtig gut Supercross-Fahren können, ist die Konfiguration dieser Motorräder für viele Dirtbike-Fahrer ein Mysterium. AMA Supercross-Bikes (die strikten Technikregeln unterliegen) weisen andere Übersetzungsverhältnisse auf und haben einige robustere Bauteile wie extrem feste Felgen und Radnaben, um die großen Sprünge und Rhythm-Abschnitte zu überstehen. Auch die Leistungsentfaltung des Motors ist speziell abgestimmt – aber wohl die größten Unterschiede finden sich bei der Federung. Diese muss härter und steifer sein, aber zugleich auf rutschigen Oberflächen und Absprüngen maximalen Grip bieten.

Kaum einer von uns wird je ein echtes Supercross-Bike selbst erleben. Daher haben wir uns an Martijn Hendriks (Development Technician) und Adam Walters (Suspension Manager) von WP Suspension gewendet. Die zwei zeichnen sich für die Red Bull KTM Factory Racing-Maschinen von Marvin Musquin, Aaron Plessinger, Tom Vialle, Max Vohland und Cooper Webb verantwortlich. Ihnen haben wir in Houston im Umfeld der AMA-Serie 2023 einige Fragen gestellt:

Cooper Webb weiß, dass er – selbst bei den Geschwindigkeiten im Supercross – seiner WP Suspension blind vertrauen kann PC @ALIGN MEDIA

Sind die Einstellungen für den Supercross wirklich radikal anders als bei normalen Dirtbikes und im Motocross?

Martijn: Ich würde sagen, was das Set-up angeht, da hat Enduro mehr mit Motocross gemeinsam als Supercross mit Motocross.

Adam: Absolut. Wenn du versuchst, Supercross mit Motocross-Einstellungen zu fahren, dann hast du was falsch gemacht.

Ein Supercross-Bike ist also wahnsinnig unbequem zu fahren? Viel Komfort hat das nicht…

Adam: Wir sagen immer: „Du kannst einen Ferrari oder einen Cadillac fahren.“ Natürlich ist die Einstellung hart und bei Bodenwellen und in anderen Bereichen der Strecke sehr unbequem, aber dafür ergeht es dem Fahrer bei den Sprüngen, Whoop-Abschnitten und in den Kurven besser.

Martijn: Aber auch mit Supercross-Einstellungen hat man noch etwas Komfort. Als wir anfingen, mit Tom [Vialle, MX2-Weltmeister und 250SX-Supercross-Rookie 2023] zu arbeiten, der erst dieses Jahr zum ersten Mal mit Supercross-Einstellungen gefahren ist, war er überrascht mit dem Reifengefühl und wie viel Bewegung da war.

Tom Vialle gewöhnt sich an die Supercross-Gegebenheiten PC @ALIGN MEDIA

Wie sieht es mit der Entwicklung neuer Federungssysteme oder -Hardware aus? Ist es besser, die im Motocross oder Supercross zu testen? Oder unterscheiden sich die zwei Sportarten zu stark?

Adam: Das Gute am Supercross ist, dass man etwas lernen kann, das eine gute Option für den Motocross werden könnte. Natürlich lässt sich nicht alles übertragen, weil die Einstellung viel härter ist, aber aus einem guten Supercross-Einstellungskonzept lassen sich Ideen für Motocross gewinnen.

Martijn: Ich glaube, für die Maschine ist Motocross viel belastender als Supercross. Im Supercross ist der Fahrer präziser, die Dämpfung regelt viel von der Bewegung. Wenn ein Fahrer im Motocross mit Vollgas über eine Reihe fieser Bodenwellen jagt, wird alles auf die Probe gestellt. Das ist für die Ausrüstung viel härter.

Adam: Zudem geht Motocross länger. Es wird mehr gefahren…aber am Ende sollten wir in keiner Sportart Probleme haben. Wenn Probleme auftreten, müssen wir etwas ändern.

Martijn: Die wesentliche Hardware – Gabel und Federbein – ist identisch, aber die Federn und die Einstellungen sind anders. Die Gabel, mit der Jeffrey [Herlings] 2021 die MXGP gewann ist dieselbe, mit der auch Cooper [Webb] im selben Jahr beim Supercross siegte. Ebenso das Federbein. Die Verpackung ist vielleicht eine andere, aber die Hardware basiert auf derselben Zeichnung.

Die Mechaniker teilen die Informationen zwischen MXGP und Supercross und vice versa. Im Bild: Jeffrey Herlings beim Hawkstone Park International im UK (2023) PC @Pascal Haudiquert

Motocross-Fahrer verbringen viel Zeit mit Tests, um eine gute Grundeinstellung für die Saison zu finden. Ist das im Supercross derselbe Prozess? Ist er länger oder kürzer?

Adam: Der Prozess ist kürzer, weil man einfach weniger Zeit hat. Die meisten der 450er-Fahrer beginnen erst im April mit den Motocross-Tests. Ein Wochenende haben wir frei, da kann man ein paar Fahrten unterbringen. Aber wenn ein Fahrer um die Meisterschaft kämpft, dann müssen wir bis zum Ende der Supercross-Saison warten. Das ist richtig schwierig. Die sind lange eine sehr steife Einstellung gefahren, da ist der Umstieg auf Motocross etwas gewöhnungsbedürftig. Monatelang fährt man ein sehr hartes Bike, da muss man aufpassen, dass man die Maschine im Motocross nicht zu weich einstellt und über die Grenze geht. Mittlerweile fahren die Fahrer fast acht Monate im Jahr Supercross.

Supercross und diese Federungen sind da also dem Straßenrennsport etwas ähnlich.

Martijn: Eine Ähnlichkeit ist die Konsistenz der Runden. Eine Supercross-Teststrecke hat meist eine 30 cm breite Linie, und die treffen Fahrer Runde um Runde. Wenn man Datenerfassung und Telemetrie machen will, dann hat man im Supercross eine bessere Wiederholbarkeit, besser als im Motocross. Eine Motocross-Sandpiste ist nach fünf Runden komplett aufgewühlt, und das Bike reagiert anders, wenn man die Linie wechselt.

Die meisten Supercross-(Test-)Strecken bieten mehr Beständigkeit von Runde zu Runde (als Motocross), was sie ideal für Datenanalyse macht – im Bild: Aaron Plessinger auf seiner KTM 450 SX-F in Houston PC @ALIGN MEDIA

WP Suspension-Mechaniker wechseln zwischen Supercross und Motocross, einen Favoriten haben sie jedoch nicht, sie erfreuen sich beider Settings gleichermaßen PC @ALIGN MEDIA

Wie sieht es mit Änderungen an den Einstellungen beim Rennen aus? Nehmen die Fahrer bei Supercross-Events oder im Motocross mehr Einstellungen vor?

Adam: Das hängt davon ab, wie es dem Fahrer mit dem Feeling geht.

Martijn: Er muss „im Fenster“ [optimaler Leistung] sein.

Adam: Wenn er nicht im Fenster ist und zurückgefallen ist, dann fährt man alles auf, was da ist. Wenn wir unsere Hausaufgaben richtig machen, dann kommt er gar nicht erst in diese Situation.

Wenn KTM das Technikkonzept des Bikes ändert, wie mit der KTM SX-F für das Modelljahr 2023, ist das für euch dann eine spannende neue Herausforderung?

Adam: Wir sollten immer nach Neuem Ausschau halten, ob bei einem neuen Bike oder einem älteren Bike, das einiges an Entwicklung hinter sich hat. Wenn wir nicht immer versuchen, noch etwas weiter zu kommen, fallen wir zurück. Ein neues Bike ist immer etwas schwierig, weil man die Features und das Potenzial noch nicht kennt. Mit einer älteren Maschine ist man besser vertraut. Da weiß man ganz genau, welche Änderungen sich wie auf den Fahrer auswirken. Als Federungsexperten treffen wir es nie auf Anhieb perfekt, man muss immer etwas Ausprobieren.

Was macht von der Technik her mehr Spaß? Supercross oder Motocross?

Adam: Ich möchte in beiden Disziplinen gut sein!

Martijn: Wenn man einige Zeit an Supercross-Einstellungen gearbeitet hat, sehnt man sich nach Motocross, und umgekehrt! Beide Sportarten haben ihre ganz eigenen Herausforderungen.

Ist Motocross für die Entwicklung besser?

Adam: Ja, aber andererseits gibt es einige Sachen und Elemente, die vom Supercross zum Motocross kommen. Es gibt da immer etwas zu lernen.

Martijn: Supercross und MXGP teilen sich einiges an Informationen. Wenn wir in Europa etwas Gutes finden, dann wissen die Leute in den USA das am nächsten Tag. Die zwei Teams [von WP Suspension] haben unterschiedliche Perspektiven und arbeiten in verschiedenen Umfeldern, aber sie ergänzen sich gegenseitig sehr gut.

Wo etwa liegt der nächste Meilenstein in der Supercross-Federungsentwicklung?

Martijn: Zu einem gewissen Grad schränken uns die Regeln ein. Elektronische Federungen fallen da ganz weg, ansonsten wäre das der nächste große Meilenstein.

Adam: Manchmal denke ich: „Mit dem, was wir haben, geht einfach nicht viel mehr“… aber dann sieht man sich seine Notizen von vor fünf Jahren an, damals hätte man sich das nicht träumen lassen, wo wir heute stehen! Das ist eine ganz merkwürdige Evolution. Man kommt zu dem Punkt, an dem man sich denkt, man ist recht gut aufgestellt – dann hat man noch ein paar Ideen und schafft es noch weiter. Über die Zeit ist das Ergebnis einfach unglaublich.

Zum Beispiel?

Martijn: Sowohl im Supercross als auch Motocross die reine Steifigkeit der Dämpfung. Wenn man sich ein Supercross-Rennen aus den 1990er-Jahren ansieht – ich glaube, in der MXGP haben wir heute härtere Federungen als damals im Supercross. Das zeigt, wohin die Entwicklung gegangen ist.

Adam: Die Geschwindigkeit steigt immer weiter. Die Bikes sind schneller, die Fahrer sind fitter und fahren härter. Das verstärkt sich immer weiter. Die Bikes werden schneller, wir folgen mit der Einstellung. Wir finden immer weiter Lösungen.

Martijn: Und wir haben unendlich viele Kombination, das ist die größte Herausforderung. Ein Motorexperte kann vielleicht mehr PS oder mehr Drehmoment aus dem Motor herauskitzeln, das ist dann gut für das Bike und das Projekt. Wenn wir aber mehr oder weniger Dämpfung einstellen oder die Kurve auf irgendeine Weise verändern, dann ist das Ergebnis nie garantiert. Man sucht immer nach dem nächsten kleinen Vorteil. Wie auch alle anderen.