EIN ARZT FÜR DEN MOTOR

Die Red Bull KTM Factory Racing-Verkleidungen in der MotoGP™ zeigen Mobil 1-Aufkleber... Doch das Logo verbirgt eine Partnerschaft, die über ein bloßes Sponsor- oder Lieferantenverhältnis für Kraftstoff und Öl weit hinausgeht. Was genau steckt also dahinter?

Von Adam Wheeler

Das Jahr 2023 zeichnet den Beginn der neuen und dynamischen Partnerschaft zwischen Red Bull KTM Factory Racing und Mobil 1. PC: Philip Platzer

Kraftstoff, Öl und kleinere, unsichtbare Flüssigkeiten rund um einen Prototypen-Rennsportmotor: nicht unbedingt das sexieste Thema in der Motorsportwelt, aber sicherlich ein sehr relevantes, vor allem für die MotoGP™ im Jahr 2024 und darüber hinaus. Für Kraftstoff aus nicht-fossilen Rohstoffen zum Beispiel ist nun eine neue Ära angebrochen. So wird dieses Jahr bei allen Motorrädern, die beim Grand Prix an den Start gehen, Kraftstoff zum Einsatz kommen, der zu 40 % „nachhaltig“ ist. In weniger als drei Saisonen wird bei der MotoGP™ Kraftstoff vorgeschrieben sein, der zu 100 % nicht fossilen Ursprungs ist.

Anfang 2023 nahm Red Bull KTM eine neue und dynamische Beziehung mit Mobil 1 in der MotoGP™ auf. Dabei handelt es sich um einen Hersteller von Schmierstoffen, der zum US-amerikanischen Mineralölkonzern ExxonMobil gehört (einem der zehn größten Unternehmen der Welt). Anlässlich des 50. Jubiläums von Mobil 1 feierte das Rennteam beim Gran Premio de España in Jerez im Mai 2024 den Jahrestag mit einer speziellen Schwarz-Gold-Rennlackierung. Mitarbeitende von Mobil 1 und ExxonMobil versammelten sich zudem bei der Weltmeisterschaft an der Red Bull Energy Station und zeigten im Fahrerlager, wie einmalig ihre Zusammenarbeit ist.

Die Schwarz-Gold-Rennlackierung von Mobil 1 auf der KTM RC16. PC: Polarity Photo

Wieso und inwiefern ist Öl und Kraftstoff überhaupt wichtig für KTM?

Der Motor der KTM RC16 verkörpert unsere technische Kompetenz auf höchstem Niveau in Bezug auf Materialien, Performance (Drehzahl, Leistung, Temperatur) und Elektronik. Dieser Motor verhalf Brad Binder zum MotoGP-Geschwindigkeitsrekord von 366,1 km/h in Italien 2023. „[Das Öl] ist wie ein Arzt für den Motor, analysiert man es, kann man einiges herausfinden“, sagt Technical Manager Sebastian Risse.

„Der Schmierstoff gibt uns sehr viel Aufschluss darüber, was gerade innerhalb des Motors passiert, weil er so viele bewegliche Teile berührt“, so Mark Humphries, Global Motorsport Manager von ExxonMobil.

„Wir messen verschiedene Parameter oder Elemente“, erzählt Pablo Terroba, Technical Advisor bei Mobil 1 und Ansprechpartner von KTM zum Thema MotoGP. „Beim Öl konzentrieren wir uns auf Schutz, Dünnflüssigkeit und Reibung. Beim Kraftstoff haben wir eher die Leistung des Motors im Auge. Daher unterscheiden sich die Parameter und Instrumente.“

Mobil 1 versorgt die KTM-Crew mit exklusiven, maßgeschneiderten Flüssigkeiten. Humphries nennt uns keine Preise für einen Liter Kraftstoff, denn nach eigenen Angaben würde ihm vor Schreck das Herz stehen bleiben. Um ein solches Niveau zu erlangen, muss vorher ein äußerst sorgfältiges und genaues Testverfahren erfolgen, vor allem im Hinblick auf die neuen Kraftstoff-Bestimmungen für 2024.

„[Das Öl] ist wie ein Arzt für den Motor, analysiert man es, kann man einiges herausfinden“, Technical Manager Sebastian Risse. PC: Philip Platzer

„Wir starten mit den chemischen Grundlagen und fertigen dann einige Proben an“, erklärt Humphries. „Dann folgen interne Tests. Wenn wir an einen Punkt kommen, an dem wir zufrieden mit einem Kandidaten sind, kommt das Gemisch anschließend auf den Prüfstand von KTM. Wir haben zwar selbst verschiedene Motoren zum Testen zur Verfügung, nutzen aber auch Simulationen, sodass nicht alles durch Verbrennung geschieht. Da uns auch ein großes Chemieunternehmen angehört, kennen wir uns mit den Eigenschaften der Chemikalien aus. Wir erschaffen das Molekül für den Kraftstoff für KTM und unsere Tests erfolgen anhand unserer Kenntnisse zu anderen Molekülen. Darauf aufbauend erschaffen wir unser Produkt. Wir möchten absolut sicherstellen, dass das Produkt genau das tut, was es soll. Wir erschaffen es Stück für Stück. Bei uns werden nicht einfach nur irgendwelche Schmierstoffe zusammengemischt. Wir verstehen die Chemie dahinter.“

„Also unser Motorprüfstand ist das Herzstück des Testverfahrens“, erzählt uns Sebastian Risse. „Der Partner [für Schmiermittel] hat ein bestimmtes Ziel vor Augen, und damit geht eine gewisse Erwartungshaltung einher, bevor das Produkt auf den Prüfstand kommt. Das müssen wir zuerst berücksichtigen. Wenn der Test bestanden wird und die Ziele auf beiden Seiten erfüllt sind, geht es weiter mit dem Ausdauertest. Eine vollständige Kalibrierung für ein so umfangreiches Thema wie den Umstieg auf einen anderen Kraftstoff bedeutet, dass mehr als eine Motorlebensdauer investiert werden muss. Danach hat man aber alle wichtigen Zahlen und Motorkennfelder. Dann wird es Zeit für einen Test auf der Strecke. Das ist anders als zum Beispiel bei Fahrwerkbauteilen, für die es Simulationen und Berechnungen, vielleicht noch Steifigkeitsmessungen oder andere Daten gibt, bevor man sie ins Bike einbaut und schaut, ob alles funktioniert. Auf dem Prüfstand erkennen wir Verbesserungen oder Verschlechterungen. Wir suchen aber auch nach anderen unerwarteten Nachteilen oder Überraschungen, und der allerletzte Test erfolgt auf der Strecke.“ 

Top speed kann nur erreicht werden, wenn das Bike und all seine Flüssigkeiten auf höchstem Niveau performen. PC: Polarity Photo

„Der neue Kraftstoff war eine große Herausforderung“, so Risse, „und das konnte man nicht auf der Strecke sehen, denn das war eine Sache zwischen unserem Motorentwicklungsteam und den Experten [für Kraftstoff]. Es gab viele Prüfstand-Tests mit unterschiedlichen Spezifikationen durchgeführt und es wurde viel geforscht. Wir waren in der glücklichen Lage, dass hinsichtlich der Performance auf der Rennstrecke alles perfekt funktioniert hat. Dieses Produkt und unsere Leistung in den ersten Rennen 2024 sowie unsere Performance auf der Geraden ist das Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Wir haben uns sogar selbst beeindruckt“

Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Faktor, weil die MotoGP™ versucht ein umweltfreundlicherer Sport zu werden. Und genau da kommt die Kompetenz von Mobil 1 ins Spiel. Allerdings ist es noch immer ein Balanceakt zwischen Qualität, Forschung und Entwicklung und Leistung. „Wir prüfen laufend, welche verschiedenen chemischen Eigenschaften und Moleküle wir ins Produkt einbringen können, aber der entscheidende Faktor dabei ist, dass das nicht auf Kosten der Leistung des Teams geschehen soll. Deswegen muss unser Endergebnis also auf Herz und Nieren geprüft werden“, erläutert Humphries. „Die gesamte Branche nähert sich dem Thema Nachhaltigkeit an, und auch die Kunden begrüßen den Trend. Daher liegt es an uns, diese Leistung sicherzustellen.“

Der neue Treibstoff wurde nicht auf der Rennstrecke entwickelt, sondern durch umfangreiche Forschung und Prüfstandläufe. PC: Polarity Photo

„Wir produzieren schon seit sehr langer Zeit nachhaltige Kraftstoffe“, sagt er. „Der Kraftstoff für den Porsche Supercup wird aus Kohlendioxid aus der Luft in Südamerika gewonnen, das in Methan umgewandelt wird, welches wiederum in Kraftstoff umgewandelt wird. Derzeit mag man noch Kompromisse bei der Leistung in Kauf nehmen müssen, aber immer, wenn wir uns mit den chemischen Eigenschaften beschäftigen, erkennen wir mehr Möglichkeiten, um sie zu verbessern. Bei Exxon haben wir ein eigenes Forschungszentrum in der Nähe von New York. Dort betreiben wir Grundlagenforschung in einem großen Gebäude mit zahlreichen Chemikern und Ingenieuren. Tatsächlich wurde an diesem Ort auch der Lithium-Ionen-Akku für ein Mobiltelefon entwickelt, wofür wir einen Nobel-Preis erhielten [Stanley Whittingham, 2019]. Dort arbeiten also eine Menge schlauer Leute.“

Ist Mobil 1 eine ernstzunehmende MotoGP™-Größe?

Scheint so. ExxonMobil ist riesig, und die Wurzeln des Unternehmens reichen bis 1866 zurück! Sie waren schon an Rennen beteiligt, bevor der Motorsport überhaupt erfunden wurde. Auf den ersten Blick mag dies verwirrend erscheinen, deswegen erklärt Humphries: „Wir haben für Pferderennen Öl für die Sättel und Fett für die Wagenräder gesponsored. Mit der Erfindung des Automobils und nach dem Sieg beim Indy 500 im Jahr 1915 nahm das Geschäft Fahrt auf. Motorsport ist unser Herzstück. So etwas [MotoGP™] hilft uns, eine Menge zu verstehen und zu lernen, da unser Technik-Team unkonventionelle Lösungsansätze finden muss, um unseren Kunden bessere und effizientere Produkte zu bieten.“ Mobil 1 stellt zudem Material und Unterstützung für das unbezwingbare Red Bull Racing F1-Team zur Verfügung. „Wir bedauern, dass wir uns 2003 [aus der MotoGP™] zurückgezogen haben. Also ging es [bei dem Neustart] darum, den richtigen Partner zu finden, und das war ganz klar KTM. Wir brauchten ein Team, das selbst Motoren herstellt, und mit dem wir eine enge Beziehung aufbauen konnten.“

Mobil 1 ist Teil von ExxonMobil, ein Unternehmen dessen Rennexpertise zurück geht bis in eine Zeit in der die einzigen Rennen, Pferderennen waren. PC: Polarity Photo

„Wir erleben gerade eine interessante Zeit zusammen“, meint Risse. „Wir hatten schon ein Produkt, das sehr gut funktionierte. Natürlich hatten wir auch vorher Lieferanten und haben daher den Vergleich. Die Unterstützung beeindruckt uns. Sie haben so einen fundierten Hintergrund in Chemie. Wir können verrückte Fragen stellen und andere Denkansätze verfolgen.“

„Wir wissen nicht, ob wir die Leistung noch weiter verbessern können, als heutzutage mit fossilen Kraftstoffen möglich ist. Genau deswegen ist dies [die MotoGP™] wichtig, weil wir damit Antworten sowie unkonventionelle Lösungsansätze finden können, ohne durch kommerzielle Notwendigkeiten eingeschränkt zu sein“, bekräftigt Humphries. „Für die beste Leistung innerhalb der Regeln.“

Was unterscheidet diese Partnerschaft im Vergleich zu anderen Teams/Marken?

Mobil 1 wird ein kleines Labor bei bestimmten MotoGP™ Grand Prix-Veranstaltungen errichten, was ultraschnelle Messungen und Reaktionszeiten bedeutet, wenn es darauf ankommt. Von März bis Ende November 2024 stehen 21 Runden in verschiedenen Klimazonen, Höhenlagen und mit unterschiedlicher Luftdichte an, und es wird das zweite Jahr mit dem anspruchsvollen Sprint-Konzept. Das Mobil 1-„Labor“ ist da ein weiterer Vorteil. „Wir möchten einige Kraftstoff- und Ölproben vom Wochenende überwachen und prüfen, wie eine Analyse die Leistung des Bikes erhöhen oder die nächsten Produkte beeinflussen könnte“, beschreibt Terroba. „Wir haben ein großes internes Entwicklungszentrum in den USA, in dem unsere Ingenieure zusammen mit Ingenieuren von KTM und deren Prüfständen arbeiten. Dort können wir intensiver und präziser forschen, aber hier, direkt an der Strecke, können wir sofort handeln. Beide Seiten der Daten geben uns Aufschluss bei der Entwicklung, denn die Technologie entwickelt sich auch über den Motorsport hinaus weiter.“

Der 2024 MotoGP Kalender bietet 21 Runden von März bis späten November in verschiedenen Klimazonen, Höhenlagen und mit unterschiedlicher Luftdichte - perfekt für das Testen von Kraftstoffen. PC: Polarity Photo

Welche Unterschiede/Vorteile/Nachteile gibt es zwischen Autos und Motorrädern?

Bei diesem Thema gibt sich Mobil 1 etwas verhalten, um nicht zu viele Details an neugierige Journalisten zu verraten, doch es gibt offensichtliche Unterschiede (und Ähnlichkeiten) zwischen der F1 und MotoGP™.

Terroba: „Bei der Arbeit mit F1-Fahrzeugen mit Red Bull können wir den Ingenieuren dabei helfen, Probleme zu verhindern oder festzustellen, welches System (Motor, Getriebe oder Elektronik) in Bezug auf Funktion, Temperatur oder Druck einen besseren Zustand oder mehr Komfort vorzuweisen hat. Das tun wir in diesem Labor vor Ort an der Rennstrecke. Deshalb haben wir entschieden, zusammen mit KTM diesen Schritt zu gehen, und soweit wir wissen, sind wir das einzige Team mit einem solchen Konzept vor Ort. Die große Herausforderung besteht darin, dass du zum Team gehörst und für das Team da bist. Du kennst deine Verantwortlichkeiten und Kompetenzen und Fähigkeiten.“

„F1 und Motorräder unterscheiden sich grundlegend voneinander, was die Motoren und Produkte angeht“, fügt der Spanier hinzu. „Bei der Entwicklung unserer Produkte nutzen wir dieselbe moderne Technologie, aber die Endergebnisse unterscheiden sich.“

„MotoGP™ stellt uns vor bedeutende und andere Herausforderungen“, so Humphries. „Das liegt an dem Fakt, dass wir uns längere Zeit aus dem Sport zurückgezogen haben. Wir haben uns als Ziel gesetzt, die Performance zu verbessern, und das dauert Monate. Das können wir nicht einfach so aus dem Hut zaubern. Das ist erst der Anfang dieser Reise und wir haben noch einen langen Weg vor uns."

"Das ist erst der Anfang dieser Reise und wir haben noch einen langen Weg vor uns” - Mark Humphries, ExxonMobil’s Global Motorsport Manager. PC: Polarity Photo