2023 war die vierte und letzte Moto3™-Saison des 20-jährigen türkischen Rennfahrers Deniz Öncü. Dabei ließ er dem ersten Grand-Prix-Sieg seiner Karriere gleich noch zwei weitere folgen – oft mit explosiven und mitreißenden Darbietungen. Jetzt steht er mit seinem Red Bull KTM Ajo-Team für 2024 an der Schwelle zur Moto2™. Höchste Zeit, Deniz zu einem Gespräch einzuladen.
Von Adam Wheeler
Zum Abschluss der MotoGP™-Saison 2018 war der Circuit Ricardo Tormo in Valencia grau, kalt und klatschnass. Der Grand Prix war ein Schlag ins Wasser, aber er war auch die Bühne, auf der der Name „Öncü“ zum ersten Mal für Furore sorgte. Der damals fünfzehnjährige Can, Red Bull MotoGP™ Rookies Cup Champion des Jahres 2018, kämpfte sich durch die Pfützen und holte sich seinen ersten Wildcard-Sieg. Sein Zwillingsbruder Deniz, der selbst dabei war, sich auf der MotoGP™-Talentleiter hochzuarbeiten, blickte staunend zu ihm auf.
Seit bekannt ist, dass er 2024 in die Moto2™ wechselt, um Pedro Acosta zu ersetzen, der sich auf dem Weg in die MotoGP™ macht, ist er zudem eine der interessantesten Persönlichkeiten in der KTM GP Academy.
Deniz zieht die Aufmerksamkeit auf sich, und das auch unabhängig von seinem Punktestand oder seiner Geschwindigkeit. Hinter seinem verschmitzten Grinsen verbirgt sich ein sehr starker Charakter. Fans lieben oder hassen ihn, und seine zukünftigen Rivalen in der Moto2™ und vielleicht auch in der MotoGP™ werden schnell zu spüren bekommen, wie entschlossen er ist. Wir sitzen in der Red Bull Hospitality Unit auf Phillip Island, Australien, als der Wind auffrischt und an den großen Fenstern rüttelt. In ganz ähnlichem Stil ist Deniz durch die Moto3™ gestürmt, vor allem 2022 und 2023. Was denkt er selbst über diese Entwicklung?
Deniz, als Can in Valencia gewonnen hat, was ging dir da durch den Kopf?
Sein Sieg war für unsere ganze Familie fantastisch. Mein Bruder und ich sind in der Hinsicht gleich. Wenn er oder ich ein gutes Ergebnis erzielen, sind wir beide sehr stolz aufeinander. Ich war sehr emotional und dachte: „Es ist also möglich!“ Ich wusste: Wenn er es schaffen kann, dann kann ich es auch. Ich konnte mich selbst dort sehen und habe seitdem dafür gearbeitet, an diesen Punkt zu kommen.
Du hast in den letzten beiden Saisonen schnelle Fortschritte erzielt. Das muss sowohl an deiner mentalen als auch an deiner körperlichen und technischen Weiterentwicklung liegen…
Ja. Die Mentalität, wie du schon sagst, und damit zwei Ziele, die ich mir gesetzt habe: stärker zu sein, aber auch ruhiger, denn normalerweise bin ich ein sehr aggressiver Fahrer und ziemlich verrückt. Entweder kam ich ins Ziel oder ich machte einen Fehler.
Dein natürliches Talent ist offensichtlich, aber geht der Rest aufs Konto deiner Familie und deines Teams?
Auf jeden Fall. Meine Familie hat mich immer motiviert, genauer zu werden. Sie sagten, ich sei zu aggressiv und würde verrückte Dinge tun, und das führte dazu, dass die Ergebnisse ausblieben. Niemand hat wirklich verstanden, warum wir nicht so weit gekommen sind, wie es eigentlich möglich gewesen wäre. Der Teamwechsel hat mir auch sehr geholfen. Früher dachte ich: „Wenn ich überall angreife, kann ich gewinnen…“ Diese Denkweise habe ich abgelegt und gemerkt, dass ich die nächste Runde oder die letzten Manöver für den Sieg besser planen kann, wenn ich mich beruhige und langsamer an die Sache herangehe. Ich hörte auf, ein „Fragezeichen“ zu sein und einfach wie wild Gas zu geben. Das Bike strategischer zu fahren hat mich deutlich vorangebracht.
Du zeigst deine Gefühle offen, was sympathisch ist, dich aber auch ein bisschen angreifbar für Kritik macht…
Es ist mir egal, was die Leute über mich sagen oder denken. Wirklich sch***egal! Ich bin hier, um zu arbeiten und meiner Leidenschaft nachzugehen. Wobei ich sagen muss, dass ich im letzten Jahr angefangen habe, meine Gefühle zu zügeln, denn wenn ich zu „heiß“ oder emotional bin, klappt es auf dem Motorrad nicht so gut. Am besten ist es, wenn du wie ein Roboter bist: immer gleich und ohne Emotionen. Jetzt denke ich auf der Strecke nur noch daran, mit dem Motorrad im Einklang zu sein und gleichzeitig mit Strategie zu fahren.
Ein Roboter zu sein, mag helfen, aber du willst sicher auch Charakter zeigen und vielleicht andere Fahrer oder Kinder begeistern.
Ja, klar. Sobald ich den Helm abnehme, bin ich ein ganz anderer Mensch. Auf der Rennstrecke muss man ein bisschen ein Arsch sein, aber sonst bin ich einfach ich selbst. Ich glaube, das Rennen beginnt „vor der Ampel“. Wenn du einige Fahrer schon mental schlägst, bist du ihnen bereits ein Zehntel voraus. Dabei können auch Gespräche mit Fahrern wichtig sein. Im Allgemeinen bin ich aber ein sehr freundlicher Mensch! Ich genieße, was ich tue, und ich tue, was ich will.
Welche anderen Sportarten gefallen dir und dienen dir als Inspiration?
Ich mag alle Extremsportarten. Auch BMX. Surfen gefällt mir auch sehr. Zum Trainieren laufe ich, fahre Rad oder mache Crossfit, was wirklich cool ist. Im Grunde mag ich alle Sportarten, bei denen es Räder gibt! Aber ich nutze sie nicht wirklich als Referenz. Ich bin hier, weil ich gerne Rennen fahre. Und ich will der Beste sein.
Fährst du während der Rennsaison immer nach Hause oder hast du irgendwo anders eine feste Basis?
Zwischen den Rennen fahre ich normalerweise immer zurück in die Türkei. Da ist mein Zuhause, und wir haben auch eine „Ranch“ zusammen mit Kenan [Sofuoğlu] und einigen anderen Fahrern wie Toprak [Razgatlıoğlu] und meinem Bruder. Wir führen ein sportliches Leben. Wir pushen uns immer gegenseitig. Wir wachen auf und beginnen den Tag mit Laufen oder Radfahren, mittags sind wir dann auf der Rennstrecke und zum Abschluss machen wir Crossfit oder so. An freien Tagen hängen wir einfach ab. Manchmal spielen wir zusammen PlayStation. Fast alles, was wir tun, ist ein Wettbewerb. Irgendjemand will immer bei irgendetwas gewinnen. Wir treiben uns ständig gegenseitig an.
2023 war dein erstes volles Jahr mit Aki und jetzt bist du auf dem Weg in die Moto2…
Als ich in dieses Team wechselte, wusste ich, dass der Druck sehr hoch sein würde, denn es ist eines der besten, wenn nicht das beste. Man muss immer gewinnen oder um den Platz an der Spitze kämpfen. Da gibt es keine Ausreden. Zwischendurch habe ich mich selbst gefragt, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Aber letztendlich bin ich glücklich, weil wir die Situation gut gemeistert haben und das Verhältnis innerhalb des Teams echt gut ist. Es war eine Saison, in der wir an die Meisterschaft denken konnten. Wir hatten eine wirklich gute Geschwindigkeit und wir haben gezeigt, wie stark wir sind, aber es gab auch ein paar unglückliche Momente für uns. Doch wir haben viele Situationen auf die richtige Weise gemeistert. Selbst wenn wir schlecht waren, haben wir einen Weg gefunden, uns zu verbessern.
Die Moto3 kann ganz schön verrückt sein…
Nun, jedes Rennen hat ein anderes Szenario für die Strecke. Ich würde es als „zu aggressiv“, „großer Spaß“ und „sehr instinktiv“ beschreiben. Es kann passieren, dass ich ohne nachzudenken nach innen abtauche und fünf Fahrer überhole. Das geht ganz automatisch. Manchmal stürze ich, manchmal nicht! Man muss schon ein bisschen verrückt sein, um in dieser Moto3-Kategorie zu fahren. Wenn man das nicht ist, hat man keine Chance. Es geht nicht immer um die letzte Runde, und es ist auch oft etwas Glück im Spiel. Du kannst dein Bestes geben, aber in der Moto3 brauchst du auch ein bisschen Glück. Es ist nicht wie in der MotoGP, wo die Fahrer vielleicht fünf Sekunden auseinander liegen. In der Moto3 liegt nur eine halbe Sekunde zwischen fünf von uns! Es gibt viele Faktoren wie die Größe, das Gewicht, das Set-up, die Geschwindigkeit des Motorrads und die Position.
Moto2: Neugierig oder aufgeregt? Manche Fahrer passen sich schneller an als andere…
Ehrlich gesagt, habe ich noch gar nicht darüber nachgedacht! Es ist klar, dass ich dabei sein werde… aber erst nächstes Jahr. Ich bin hier, um mein Bestes zu geben, zu genießen und in jeder Session der Beste zu sein. Ich genieße mein Leben und meine Kategorie und ich will gewinnen. Nach meiner letzten Moto3-Runde mach ich mir dann Gedanken über die Moto2!